April 2015

132 – Die Welt ist ein Dorf

Seit vielen Jahren bin ich mit Menschen im Gespräch. Sie erzählen ihre Geschichten und vor allem von ihren inneren und äußeren Konflikten. In der Regel geht es darum, dass viele mit ihrer Wut nicht umgehen können und keinen Kontakt zu ihren Bedürfnissen, und vor allem zu ihrer Würde herzustellen wissen.

Äquivalent zu ihrer Schwierigkeit eigene Schatten anzuerkennen, besteht die Schwierigkeit den Anderen als fremde Person anzuerkennen.
Das Fremde, der Andere macht Angst, da nicht eingeschätzt werden kann, wie die Person reagiert. Diese Problematik verstärkt sich, je weiter entfernt, und entsprechend fremd die Kultur, des Gegenübers ist.

Die Grundlage jeden guten Kontaktes auf Augenhöhe ist jedoch die Anerkennung der Andersartigkeit der Person, die vor mir steht, und ggf. die wertschätzende Benennung meiner Schwierigkeiten der Person in guter Weise zu begegnen.

Gerade die, in der Weltgeschichte, immer wieder eskalierenden Konflikte müssten doch aufhorchen lassen. Aber die Antworten, die ich auf dieses Horchen höre, sind sehr eingeschränkt und dienen bei genauerem Hinsehen eher dem Machterhalt des Stärkeren.

Dies ist vor allem im Umgang mit Migranten zu beobachten. Während sich die Bundesregierung und andere Politiker darin ergehen, dass es doch eine Integration der von Migration Betroffenen geben müsste und sei es durch Spracherwerb, sind wir Bürger tag täglich mit Menschen in Berührung, deren Lebenslauf brüchig ist und die Verzweiflung des nicht mehr und des noch nicht, ungeheilt. Wie können wir diese Menschen willkommen heißen? Was heißt Integration? Für mich bedeutet dies immer: Alle beteiligen müssen etwas freigeben, um zu gewinnen.

Bruce Chatwin spricht in diesem Zusammenhang davon, dass wir alle aus dem Nomadentum kommen und in der Zivilisation die Masse der Zivilisierten sich in goldenen Gefängnissen befinden. Und so ein Gefängnis will beschützt sein, vor allem, was die leere Fassade in Frage stellt.

Wichtig wäre doch wirklich mit Menschen Kontakt zu haben. Sie kennen zu lernen, sie einzuladen und zu sprechen. Damit wir den inneren Bildern und Phantasien entfliehen können und die Vorurteile überwinden lernen.
Peyman Azhari
Gerade jetzt erschien ein Buch, welches diese Brücke eindrucksvoll baut und Mut macht, die Begegnung auf eigene Faust zu wagen.
Peyman Azhari, Heimat 132.
132 Nationen, die die Dortmunder Nordstadt bevölkern und somit sich selbst in diese deutsche Gesellschaft einbringen.

Peyman lässt diese Menschen zu Wort kommen, macht sie „Kenntlich“, in seinen Bildern und in seinen Gesprächen, die er mit diesen Menschen geführt hat.

Wunderbar sind die Berührungen, welche für mich als Leser und Betrachter hier möglich werden, wenn ich mich den Bildern gegenüber öffne. Mir begegnen Menschen, die meinen schnellen Lebensschritt verlangsamen, vielleicht stoppen und mir die Gelegenheit zu geben, zu erkennen, wer neben mir steht.
Peyman Azhari

Sehr deutlich habe den Aspekt der Verlangsamung und des Stehenbleiben bei der Ausstellungseröffnung in Dortmund beobachtet. Ich lief durch die Ausstellung und begegnete immer wieder einer hochschwangeren Frau, welche offensichtlich auf ihre Entbindung wartete.
Sie lief auf und ab, wurde langsamer, blieb vor dem ein oder anderen Bild stehen.
Ich dachte, diese Bilder sieht sie vor der Entbindung. Vor einem zarten, sehr privaten Moment, wer kann schon erahnen, was das Betrachten dieser Bilder bei ihr auslöst, aber ich will glauben, dass es Gutes und Zartes ist, was sie erfüllt, inneren Frieden und ein Gefühl für ihre Würde.

Im Gespräch mit Peyman, habe ich verstanden, dass diese Arbeiten ein Herzensanliegen von ihm sind. Peyman, selbst Migrant, konnte die Verbindung herstellen, weil er dem Heimatbegriff offen gegenüber steht und nicht im Zustand der inneren und äußeren Festung verharrt. Dies entspricht nicht immer einer guten Erfahrung. Er spricht in diesem Zusammenhang sogar von mehreren Heimaten die ein Mensch besitzen kann. Die Flucht, die Wanderung aus einer angestammten Heimat hat immer auch mit dem Mut des Ruhelosen und der Verzweiflung des Flüchtenden zu tun.

In den Augen des Anderen erkenne ich immer wieder auch meine eigene Flüchtigkeit, Brüchigkeit, das Ungerade und den Zweifel.
So kann ich, im eigenen Erkennen, den anderen mit neuen Augen sehen und mir Geschichte, Lebensgeschichte bewusst machen.
All die Konflikte dieser Welt, abgegriffen in den Nachrichten, werden hier zu Fleisch und Blut.

So entsteht das Bild einer möglichen, aber noch nicht erreichten Zustandes, des Gesprächs, des Teilens, des Lebens.

Und wie so oft in meinem Leben bleibt die Frage:
Was ist ein Mensch?
Peyman Azhari

Buchinformation:

Gebundene Ausgabe: 264 Seiten
Verlag: Ghost Press; Auflage: 1 (31.01.2015)
Sprache: Deutsch
ISBN-13: 978-3943156096
Größe: 29,6 x 19,4 x 2,8 cm
Preis: 48,00 EUR

Infos zur Ausstellung:
„Heimat 132“
Ausstellungsdauer 30.01. bis 30.04.2015
Ausstellungsort: Klinikum Dortmund, Beurhausstraße 40, 44137 Dortmund

Ich schreibe, um herauszufinden was ich denke.

Die Überschrift zu diesem Artikel ist der Titel eines Buches von Susan Sontag, indem Sie ihre Tagebücher veröffentlicht hat. Mir gefällt die Idee und Anregung, herauszufinden was ich denke.
Aber weiß ich denn nicht was ich denke? Ich habe festgestellt, daß ich das nicht immer weiß, bzw. manchmal zum Nichtdenken neige.
Oder mein Denken neigt zu einer gewissen Ungenauigkeit. Ich habe oft keine Zeit Dinge zu Ende zu denken oder zu überprüfen.

Nach meinem vorletzten Blogbeitrag über Selfies habe ich mir intensiv Gedanken über die Bedeutung von Kunst und Fotografie, Denken und Fühlen gemacht und den Halt den diese Aspekte unseres Lebens, darstellen.

Mich beschäftigte die Frage, warum ich überhaupt fotografiere, welchen Sinn sich für mich daraus ergibt.
Ich identifiziere für mich 2 wichtige künstlerische Aktionen innerhalb der Fotografie.
1. Der Akt des Fotografierens. Ich setze mich intensiv mit dem Motiv auseinander, komme zur Ruhe, treffe künstlerische Entscheidungen zu Bildkomposition und Belichtung, ein kontemplatives Tun.
2. Der Akt der Bildentwicklung in der digitalen Dunkelkammer. Hier entscheide ich mich nach ästhetischen und technischen Kriterien, um das Bild zu erzeugen, was ich im Sinn hatte oder was gerade vor mir entsteht, denn nicht immer habe ich das Bild schon im Sinn gehabt.
Die Entscheidung ob ein Bild gut ist, ich die Verantwortung für mein Werk übernehmen kann, geht über den technischen Anspruch hinaus und ist mit der Frage geknüpft ob ich meine emotionale Idee wieder finde.

Die Kreativität, den Impuls zum Ausdruck und der Wunsch zu teilen halte ich für eine ontologische Grundbedingung.
Sören Kierkegaard sagt hierzu: „Das Selbst ist ein Verhältnis, das sich zu sich selbst verhält,…“ Wir verhalten uns zu uns Selbst, sprich wir unterhalten eine Beziehung zu uns selbst.

Ich habe schon immer einen Hang zu guten Geschichten gehabt und mich hat immer wieder verwundert wie Menschen ihr Leben begreifen und welche Schlussfolgerungen sie daraus ziehen. Es ist so wie Goethe sagt, dass jeder das Geheimnis, mit ins Grab nimmt, wie es ihm möglich war zu überleben.
Dieses Geheimnis hat mich immer interessiert.
Das ich die Möglichkeit habe Fragen nach meiner Existenz zu stellen, nach dem Sinn zu suchen, ohne ihn gleich zu finden, habe ich auch tröstlich empfunden.

In den letzten Wochen habe ich mit einem Freund, der selbst studierter Philosoph ist, über die Philosophie, vor allem ihre Bedeutung für die Welt und die Menschen auseinandergesetzt.

Er hat mir gute Hinweise zur Philosophie gegeben und grund-legende Anregungen zum Werk Wittgensteins.
Vor allem hat er mir die Bedeutung der Fragen und Antworten in der Philosophie dargelegt.

Im Diskurs mit meinem Freund zitierte er einen schönen Text:

Martin Heidegger schreibt in seinem Buch „Sein und Zeit“:
„(…) Haben wir heute eine Antwort auf die Frage nach dem, was wir mit dem Wort „seiend“ eigentlich meinen? Keineswegs. Und so gilt es denn, die Frage nach dem Sinn von Sein erneut zu stellen. Sind wir denn heute auch nur in der Verlegenheit, den Ausdruck „Sein“ nicht (sic!) zu verstehen? Keineswegs. Und so gilt es denn vordem, allererst wieder ein Verständnis für den Sinn der Frage zu wecken. Die konkrete Ausarbeitung der Frage nach dem Sinn von „Sein“ ist die Absicht der folgenden Abhandlung.(…)“

Dies soll Grundlage alles weiteren sein.

Die Philosophie ist ein kritischer Kommentar zu Menschheitsgeschichte oder wie ich in einem Buch las, ein Gespräch über Zeiten und Generationen hinweg, zu den Fragen der Menschen.
Dieser epische Aspekt hat mir sehr gut gefallen.
Welche Fragen stelle ich mir? Welche Antworten habe ich?
Wie zeigt sich dies in meinen Fotografien?

Die Fragen Immanuel Kants haben mich sehr bewegt.

Was kann ich wissen?

Was soll ich tun?

Was darf ich hoffen?

Was ist der Mensch?

In diesem Fragen finde ich mich mit meinem Sein wieder, nochmal auf andere Art aufgefangen als ich dies aus meinen bisherigen Studien kenne.

Mit Irvin D. Yalom setzte ich mich in den letzten Jahren ebenfalls auseinander. Er hat die Psychotherapie durch sein epochales Werk „Existentielle Psychotherapie“ um die existentiellen Fragen bereichert.
Yalom stellt folgende Thesen zur Debatte.

Ich werde sterben.

Ich bin frei.

Ich bin isoliert.

Es gibt keinen Sinn.

Ich verstehe, dass der Mensch schon immer auf der Suche nach Antworten auf Fragen zu seiner Existenz war.
In der Kunst ging es immer um die Auseinandersetzung mit dem eigenen Sein, der Einbettung in eine geheimnisvolle, auch gefährliche Welt und um die Frage was die Welt mir sagt und welche Antwort ich auf diese Welt finde. Was kann ich über meine eigene Bedeutung wissen, was kann ich geben und welche Beziehung habe ich zu dieser Welt.

Ich denke hier sofort an die Venus von Willendorf, oder die Höhlenmaler der Steinzeit über die antike Kunst, die großen Meister wie Rembrandt, Picasso, bis hin zu Andy Warhol und Michael Kenna.

Was kann ich über mich an die Decke ein Höhle malen, meine Existenz bestätigend und als Spiegel des Nachdenkens über mich selbst.
Was kann ich sagen, über meine Beziehung zu anderen Menschen, zu meiner Mitwelt, zu Fragen der Spiritualität, deren Ausdruck in Architektur und der menschlichen Suche nach Halt und Verbundenheit, nach einem Gott einer Transzendenz. Was ist meine Antwort, was sind meine Fragen.

Was für Bilder macht Stefan Hahn?

Zurück zu Susan Sontag: Ich schreibe, um herauszufinden was ich denke.

Ich fotografiere, um herauszufinden wer ich bin.

Ich fotografiere, um Fragen zu stellen.

Ich fotografiere, um Antworten zu geben.

Ich fotografiere, um mich immer präziser auszudrücken.