132 - Die Welt ist ein Dorf

Seit vielen Jahren bin ich mit Menschen im Gespräch. Sie erzählen ihre Geschichten und vor allem von ihren inneren und äußeren Konflikten. In der Regel geht es darum, dass viele mit ihrer Wut nicht umgehen können und keinen Kontakt zu ihren Bedürfnissen, und vor allem zu ihrer Würde herzustellen wissen.

Äquivalent zu ihrer Schwierigkeit eigene Schatten anzuerkennen, besteht die Schwierigkeit den Anderen als fremde Person anzuerkennen.
Das Fremde, der Andere macht Angst, da nicht eingeschätzt werden kann, wie die Person reagiert. Diese Problematik verstärkt sich, je weiter entfernt, und entsprechend fremd die Kultur, des Gegenübers ist.

Die Grundlage jeden guten Kontaktes auf Augenhöhe ist jedoch die Anerkennung der Andersartigkeit der Person, die vor mir steht, und ggf. die wertschätzende Benennung meiner Schwierigkeiten der Person in guter Weise zu begegnen.

Gerade die, in der Weltgeschichte, immer wieder eskalierenden Konflikte müssten doch aufhorchen lassen. Aber die Antworten, die ich auf dieses Horchen höre, sind sehr eingeschränkt und dienen bei genauerem Hinsehen eher dem Machterhalt des Stärkeren.

Dies ist vor allem im Umgang mit Migranten zu beobachten. Während sich die Bundesregierung und andere Politiker darin ergehen, dass es doch eine Integration der von Migration Betroffenen geben müsste und sei es durch Spracherwerb, sind wir Bürger tag täglich mit Menschen in Berührung, deren Lebenslauf brüchig ist und die Verzweiflung des nicht mehr und des noch nicht, ungeheilt. Wie können wir diese Menschen willkommen heißen? Was heißt Integration? Für mich bedeutet dies immer: Alle beteiligen müssen etwas freigeben, um zu gewinnen.

Bruce Chatwin spricht in diesem Zusammenhang davon, dass wir alle aus dem Nomadentum kommen und in der Zivilisation die Masse der Zivilisierten sich in goldenen Gefängnissen befinden. Und so ein Gefängnis will beschützt sein, vor allem, was die leere Fassade in Frage stellt.

Wichtig wäre doch wirklich mit Menschen Kontakt zu haben. Sie kennen zu lernen, sie einzuladen und zu sprechen. Damit wir den inneren Bildern und Phantasien entfliehen können und die Vorurteile überwinden lernen.
Peyman Azhari
Gerade jetzt erschien ein Buch, welches diese Brücke eindrucksvoll baut und Mut macht, die Begegnung auf eigene Faust zu wagen.
Peyman Azhari, Heimat 132.
132 Nationen, die die Dortmunder Nordstadt bevölkern und somit sich selbst in diese deutsche Gesellschaft einbringen.

Peyman lässt diese Menschen zu Wort kommen, macht sie „Kenntlich“, in seinen Bildern und in seinen Gesprächen, die er mit diesen Menschen geführt hat.

Wunderbar sind die Berührungen, welche für mich als Leser und Betrachter hier möglich werden, wenn ich mich den Bildern gegenüber öffne. Mir begegnen Menschen, die meinen schnellen Lebensschritt verlangsamen, vielleicht stoppen und mir die Gelegenheit zu geben, zu erkennen, wer neben mir steht.
Peyman Azhari

Sehr deutlich habe den Aspekt der Verlangsamung und des Stehenbleiben bei der Ausstellungseröffnung in Dortmund beobachtet. Ich lief durch die Ausstellung und begegnete immer wieder einer hochschwangeren Frau, welche offensichtlich auf ihre Entbindung wartete.
Sie lief auf und ab, wurde langsamer, blieb vor dem ein oder anderen Bild stehen.
Ich dachte, diese Bilder sieht sie vor der Entbindung. Vor einem zarten, sehr privaten Moment, wer kann schon erahnen, was das Betrachten dieser Bilder bei ihr auslöst, aber ich will glauben, dass es Gutes und Zartes ist, was sie erfüllt, inneren Frieden und ein Gefühl für ihre Würde.

Im Gespräch mit Peyman, habe ich verstanden, dass diese Arbeiten ein Herzensanliegen von ihm sind. Peyman, selbst Migrant, konnte die Verbindung herstellen, weil er dem Heimatbegriff offen gegenüber steht und nicht im Zustand der inneren und äußeren Festung verharrt. Dies entspricht nicht immer einer guten Erfahrung. Er spricht in diesem Zusammenhang sogar von mehreren Heimaten die ein Mensch besitzen kann. Die Flucht, die Wanderung aus einer angestammten Heimat hat immer auch mit dem Mut des Ruhelosen und der Verzweiflung des Flüchtenden zu tun.

In den Augen des Anderen erkenne ich immer wieder auch meine eigene Flüchtigkeit, Brüchigkeit, das Ungerade und den Zweifel.
So kann ich, im eigenen Erkennen, den anderen mit neuen Augen sehen und mir Geschichte, Lebensgeschichte bewusst machen.
All die Konflikte dieser Welt, abgegriffen in den Nachrichten, werden hier zu Fleisch und Blut.

So entsteht das Bild einer möglichen, aber noch nicht erreichten Zustandes, des Gesprächs, des Teilens, des Lebens.

Und wie so oft in meinem Leben bleibt die Frage:
Was ist ein Mensch?
Peyman Azhari

Buchinformation:

Gebundene Ausgabe: 264 Seiten
Verlag: Ghost Press; Auflage: 1 (31.01.2015)
Sprache: Deutsch
ISBN-13: 978-3943156096
Größe: 29,6 x 19,4 x 2,8 cm
Preis: 48,00 EUR

Infos zur Ausstellung:
„Heimat 132“
Ausstellungsdauer 30.01. bis 30.04.2015
Ausstellungsort: Klinikum Dortmund, Beurhausstraße 40, 44137 Dortmund