Zu Beginn meiner Fotografieausbildung, welche ich mir privat organisierte, habe ich mir viele Fotobücher gekauft. Die meisten beschäftigten sich mit technischen Details und deren Bedeutung für die fotografische Arbeit. Ich will nicht verhehlen, dass dies wichtig ist. Aber es verhindert, dass man seine Kamera in der Hand hält und mit ihr spielt.
Eine Kamera ist wie ein Musikinstrument. Sie hat Formen, Knöpfe, drehbare Bestandteile, eine bestimmte Charakteristik. Auch wenn in Zeiten der digitalen Fotografie der Eindruck entsteht, jede Kamera sei gleich. Sie sind es nicht.
Jedes Objektiv hat seine Geschichte, hinter ihm stehen tausende von Jahren der Kulturgeschichte und in unseren Köpfen existiert ein Bildgedächtnis und die eigene Bedeutungsgebung, die Sinnhaftigkeit als Summe unserer Erfahrungen und als Referenz unserer Begegnung mit der Welt.
Dann wiederum gibt es Fotobücher, welche zu einer persönlichen Begegnung werden, zwischen Autor und Leser durch das Medium des Buches. Der Autor erzählt von seiner eigenen Geschichte mit der Fotografie, von seinen Erfolgen und Misserfolgen, von seinem Glück und er zeigt seine Fotos. Diese sprechen uns an und im günstigen Fall entsprechen Sie unseren Wünschen und Sehnsüchten, was zu einer Motivation der eigenen Arbeit führt.
Zu Beginn und bis heute, war das für mich die Arbeit von George Barr. Seine Bücher habe ich alle gelesen und das Buch, welches ich zuerst in die Hände bekam begleitete und begeisterte mich über die ganze Zeit meiner Entwicklung.
„Besser fotografieren. Die hohe Schule der kreativen Fotografie“ Dpunkt Verlag, 2010.
Ich könnte sogar sagen, dass ich ein Gefühl habe mit dem Autor zusammen an diesem Buch gearbeitet zu haben. Nämlich in dem Sinne, das durch mein eigenes Lesen und Bewegen der Wörter und Bilder in meinem Kopf, ich zum Mitautor werde, denn ich erfülle dieses Buch mit einem neuen Sinn. Für mich gab es nicht viele Fotobücher, welche mir einen ähnlichen Zugang zur Fotografie gaben, indem ich eingeladen wurde das Wohnzimmer von Barr zu betreten und mich umzuschauen.
Zunächst aber erst einmal grundlegendes zum Buch:
Gebundene Ausgabe, 224 Seiten
Dpunkt Verlag, Heidelberg, 2. Auflage 2010
Sprache: deutsch
ISBN: 978-3898646932
Maße: 16,5×1,8×25,5

Gleich das Titelbild ist eines meiner liebsten Fotos des Autors. Es zeigt einen sich im Eis spiegelnden Baum. Das eiskalte Blau des Bildes löst bei mir Klarheit, Ruhe und Gelassenheit aus, zugleich ein Staunen über die Wunder des Alltags. Barr schreibt zu dem Bild:
„Diese Aufnahme entstand ein paar Straßenzüge von der Innenstadt Calgary entfernt. Hinter mir standen die Hallen der Busgesellschaft, und direkt links von der Szene lag eine Eisenbahnbrücke….Ich hatte kleine Wirbel im Eis gesucht, aber nichts interessantes gefunden. Dann kam ich an dieser Szene vorbei.“
Genau dies ist die Sprache und der Duktus des Autors. Für mich ist er damit dicht an meinem eigenen Erleben und an dem was ich oftmals so abwerte. Das Besondere liegt im Alltag und in den kleinen Dingen. Hier sehe ich die Stärke des Fotografen Barr, er zeigt keine Bilder aus der Welt der reisenden Landschaftsfotografen. Er zeigt Bilder, welche er in seiner Umgebung aufgenommen hat. Auch wenn da der ein oder andere Canyon dabei ist. Es geht ihm um die Wertschätzung der unmittelbaren Umgebung und um die Bedeutung des konkreten Fotografen in seinem Alltag. Er sagt: Fotografiere, lerne deine Umgebung zu lesen.
Michael Reichmann von „Luminous Landscapes“ schreibt im Vorwort:
„Fotografie ist eine Kunstform, die für ihre Umsetzung sehr von der eingesetzten Ausrüstung abhängt…Nicht die Ausrüstung und nicht unbedingt die Techniken, die vor der Aufnahme selbst und nach der Aufnahme angewandt werden, bestimmen den künstlerischen Wert eines Bildes, obwohl sie ebenfalls sehr wichtig sind. Vielmehr ist es die Verbindung zwischen Kunst und Handwerk, die die Ebene bestimmt, auf der man die Kunst der Fotografie ausübt“ und weiter „Ich traf George Barr bei einem meiner Workshops. Bei der gemeinsamen Beurteilung der Ausdrucke wurde sofort klar, dass er sich aus der Menge hervorhob. Da war eine Tiefe und Gründlichkeit in seiner Betrachtungsweise, die weit über Erfahrung und Praxis hinausgeht und die man nur vorfindet, wenn ein Fotograf lange und gründlich über seine Arbeit und seine Ziele nachdenkt.“
Etwas später erzählt Barr, dass er Hausarzt ist und seinen Patienten viel erklären muss. Aus meiner Sicht liegt genau hier die Faszination, welche ich spüre, wenn ich dieses Buch (in den letzten Jahren) immer wieder zur Hand nehme:
Da erzählt einer sehr wertschätzend und menschlich aus seiner Praxis, jemand mit dem ich mich identifizieren kann. Der mit seinen Ratschlägen zurückhalten ist und nur Vorschläge macht die er dann diskutiert.
Auf Seite XI schreibt er: „…die schwierigen Fragen der Fotografie aufzugreifen: Wie gestalte ich ein gutes Bild? Wo finde ich Inspiration? Wie erarbeite ich die Szene? Wie vermeide ich Fallen? Und dies alles basierend auf meiner eigenen Erfahrung.“ und später: „Einige der Lösungen können sogar ein ganzes Leben in Anspruch nehmen…“
Genau dieser Aspekt macht das Buch für mich so wertvoll:
Ich bin eingeladen mir Zeit zu nehmen und gründlich nachzudenken. Zum Beispiel über die Bedeutung der Ausrüstung und den Soft-Skills des Fotografierens: „Wenn das richtige Sehen unser Problem ist, dann kann neue Ausrüstung nicht die Lösung sein.“ Lerne Sehen.
Das Nachdenken über die schwierigen Fragen der Fotografie breitet sich über das ganze Buch aus und fesselt den Leser.
Die einzelnen Kapitel sind wie folgt unterteilt:
1. Sehen
2. Motivsuche
3. Komponieren
4. Bildbeurteilung
5. Gedankenspiele
6. Einen Schritt vorwärts
7. Meine Ausrüstung und meine Programme
In jedem Kapitel ist der Leser von einem erfahrenen Mentor begleitet der ihn, abseits der ausgetretenen Fotolernbücher, in die wichtigen Fragen der Fotografie einführt.
Besonders hilfreich fand ich die Bemerkungen Barrs im Kapitel Gedankenspiele.
Hier unterstützt er den angehenden Fotografen mit Fragen und Gedanken zu den wohl häufig kreativ hemmenden Phänomenen.
Festgefahren, Durchhänge, Auswege, Beruf, Familie, Misserfolge, Begehrlichkeiten, negatives Denken und Experimente sind ansprechende Titel die neugierig machen auf die dahinterstehenden Erfahrungen.
Zum Thema Beruf schreibt er: „Wer kein Profi werden will, für den mag es eine Herausforderung sein, ausreichend Zeit zu finden, um sich ernsthaft mit der Fotografie zu beschäftigen. Hierzu möchte ich einige Anregungen geben.“ Anschließend regt Barr an, dass man sich kleine Ziele setzen soll, 50 gute Bilder in 10 Jahren zum Beispiel um eine Ausstellung zu organisieren, oder die Arbeit an Projekten, Bilder im Café in ihrer Nähe aufhängen und mit Rückmeldungen umgehen. Diese umzusetzen und neue Ziele stecken sind für Ihn die Essenz um in der Fotografie weiterzukommen. Er schreibt weiter: „Doch ich kann Sie trösten: Sie sind in guter Gesellschaft! Viele von uns beschäftigen sich mit denselben Problemen.“ Nämlich dass es immer der Alltag ist, welcher uns von unserem Lieblingsthema ablenkt aber auch erdet.
Auch wenn Hobbyfotografen oft weniger angesehen und ernst genommen werden wie Berufsfotografen, können sie im Gegensatz dazu an ihren Projekten arbeiten und müssen sich nicht mit Akquise, Umsetzen von Fotocampagnen oder Rechnungsschreibung und Buchführung auseinandersetzen.
Soviel zu den kurzen Einblicken in dieses wunderbare Buch. Es ist gut, dass es auf deutsch erschienen ist, in einem Verlag, welcher sich mit der „Philosophie“ der Fotografie beschäftigt und viele verdienstvolle Bücher veröffentlicht, welche die Fotografie als Auseinandersetzung zu wichtigen Fragen des Lebens begreifen. David duChemin, Jay Maisel, Torsten Andreas Hoffmann oder Bruce Barnbaum, um nur einige zu nennen.
Für mich gehört George Barrs Buch zu meinen wichtigsten, welches ich immer wieder mit Gewinn hervorhole.
Der einzige Wunsch der offen bleibt: Ich würde es gerne als ebook auf meinem iPad mitnehmen. So könnte ich unterwegs einfach mal zur Entspannung den Worten eines erfahrenen Mentors folgen.

Sein Buch hat mich dazu inspiriert, ungewöhnliche Motive, wie Steine, Werkzeug oder Industrieanlagen als Motiv zu sehen. Einen guten Überblick findet man auf seiner Homepage (siehe unten). Viel Spaß beim Lesen!
www. dpunkt.de
http://www.dpunkt.de/leseproben/2923/Inhaltsverzeichnis.pdf
http://www.dpunkt.de/buecher/3411/besser-fotografieren.html
Homepage von George Barr: http://www.georgebarr.com/
Die Bilder habe ich der Homepage George Barrs entnommen.
Hallo,
durch Zufall bin ich auf Ihre Rezension des oben benannten Buches gestoßen. Ihrer Rezension kann ich absolut zustimmen – ein wohl besseres und auch von mir immer wieder zur Hand genommenes Buch zur Fotografie. Hier kommt beim Lesen das Gefühl wirklicher Kommunikation auf …
Beste Grüße,
M. Pitsch