Unumwunden: Ich verehre die Arbeit von Ralph Gibson. Ich bin ein Bewunderer seines Denkens, seiner Art die wesentlichen Aspekte des Lebens, seines Lebens, zu durchdringen und sie in seinen Fotografien auszudrücken. Die Bilder sind immer hintergründig, manchmal von einer intellektuellen Banalität (Common Place – Du musst lernen alles zu fotografieren, nach André Kertezs), welche mich aufrüttelt und erfüllt. Ich fühle mich danach immer wieder den Rätseln des Lebens ausgeliefert und gleichermaßen befreit.
Im Januar habe ich mich mit ihm zu einer persönlichen Konsultation getroffen und Audiomitschnitte angefertigt. Als ich diese heute nochmal, für diesen Beitrag durchhörte und mir Notizen machte, war ich verwundert. Den für mich persönlich wichtigsten Teil hatte ich übersehen, vergessen, verdrängt.
Folgendes hatte sich zugetragen:
Ich sehnte mich nach einem Mentor wie ihn. So fragte ich ihn, nach unserer Begegnung, per Mail ob er mein Lehrer werden wolle. Er antwortete nach einigen Tagen: Er glaube nicht, dass man Fotografie unterrichten könne, man könne sie nur erlernen. In dieser Hinsicht sei ich voll ausgestattet.
Ich war enttäuscht, aber auf eine Art auch ermutigt, seine Aussage zu verstehen. Hatte aber seine direkte und konkrete Rückmeldung vergessen.
Heute habe ich zum ersten mal eine Ahnung bekommen, was er meinte und ich bin erfüllt von Mut und Freude einen neuen Weg zu gehen.
In diesem Artikel möchte ich seine Rückmeldung an mich und seinem Vorschlag für den weiteren Weg, unkommentiert wiedergeben. Sicherlich, obschon es eine Rückmeldung an mich ist, ist sie gleichzeitig voller Hinweise, auf welcher Basis ein gutes Projekt entsteht.
Ralph bezieht sich bei dieser Rückmeldung auf meinen Beruf als Gestalttherapeut und auf meine körperliche Gestalt.
Auch wenn seine Rückmeldungen unkommentiert, auf den ersten Blick sperrig sind, sich nicht von selbst erschließen, mehr Fragen aufwerfen, als Antworten geben, habe ich mich für diese “rohe” Fassung entschieden. Sie stellt eine gute Rückmeldung dar, nämlich insofern als dass sie hungrig macht und nicht vordergründig sättigt. Sie wird mich noch einige Zeit beschäftigen und die Grundlage meiner nächsten Artikel bilden.
Den folgenden Auszug aus unserem Gespräch habe ich aus dem Englischen übersetzt und in Teilen paraphrasiert:
Als Psychotherapeut bist Du ein guter Zuhörer und ich selbst bin ein guter Seher. Wenn Du gut sehen kannst, kannst Du gut zuhören und wenn Du gut zuhören kannst, kannst Du gut sehen.
Für Dich könnte ich mir folgenden “Point of departure” (Ausgangspunkt) vorstellen:
Ein Dialog zwischen Jacques Lacan (franz. Psychoanalytiker) und Ludwig Wittgenstein (Philosoph).
Wo endet der Eine und wo beginnt der Andere?
Anmerkung: Beide haben sich in ihrem Fachgebiet mit der Sprachtheorie beschäftigt. Auch meine Grenzen zwischen Psychotherapie und Fotografie sind fließend.
Du könntest nach draußen gehen und mir 10 gute Bilder mitbringen, welche den Dialog zwischen Lacan und Wittgenstein verdeutlichen.
Dann müsstest Du mit Deiner Kamera dorthin gehen, wo Du noch niemals warst. So etwas solltest Du tun.
Dein Bild mit den Sonnenblumen ist nett, aber als ein Spieler, kannst Du für einen höheren Einsatz spielen.
Bringe mir die Lacan/Wittgenstein Bilder in 3-4 Jahren. Das wäre ein guter Zeitrahmen. Das würde Dich weiter bringen.Wenn ich Du wäre, würde ich lernen, wie ich meine körperliche Stärke in eine Erkenntnis, eine Wahrnehmung umwandeln könnte.
Dein Körper ist ein Segen und Fluch gleichermaßen. Du bist stark und wirst immer größer sein als alle(s) andere(n).Das kannst Du nutzen, Stärke, Intelligenz. Du hast Deinen Körper und Deinen Geist entwickelt.
Nutze Deine Introspektionsfähigkeit, deine Selbsterforschung für Deine Fotografie. Denke daran, Du hast einen visuellen Sinn, Du hast Equipment und Du hast ein gutes Auge.
Überlege Dir: Wie kannst Du Deine Fähigkeit zuzuhören in photographische Power umwandeln. Als Künstler musst Du Deine eigene Moral entwickeln, damit Dich die Muse nicht verläßt.Du hast jetzt einen Reset-Punkt.
Fang an von Innen nach Außen zu arbeiten, anstatt wie im Moment, von Außen nach Innen.
– Ralph Gibson