Wittgenstein

Ich schreibe, um herauszufinden was ich denke.

Die Überschrift zu diesem Artikel ist der Titel eines Buches von Susan Sontag, indem Sie ihre Tagebücher veröffentlicht hat. Mir gefällt die Idee und Anregung, herauszufinden was ich denke.
Aber weiß ich denn nicht was ich denke? Ich habe festgestellt, daß ich das nicht immer weiß, bzw. manchmal zum Nichtdenken neige.
Oder mein Denken neigt zu einer gewissen Ungenauigkeit. Ich habe oft keine Zeit Dinge zu Ende zu denken oder zu überprüfen.

Nach meinem vorletzten Blogbeitrag über Selfies habe ich mir intensiv Gedanken über die Bedeutung von Kunst und Fotografie, Denken und Fühlen gemacht und den Halt den diese Aspekte unseres Lebens, darstellen.

Mich beschäftigte die Frage, warum ich überhaupt fotografiere, welchen Sinn sich für mich daraus ergibt.
Ich identifiziere für mich 2 wichtige künstlerische Aktionen innerhalb der Fotografie.
1. Der Akt des Fotografierens. Ich setze mich intensiv mit dem Motiv auseinander, komme zur Ruhe, treffe künstlerische Entscheidungen zu Bildkomposition und Belichtung, ein kontemplatives Tun.
2. Der Akt der Bildentwicklung in der digitalen Dunkelkammer. Hier entscheide ich mich nach ästhetischen und technischen Kriterien, um das Bild zu erzeugen, was ich im Sinn hatte oder was gerade vor mir entsteht, denn nicht immer habe ich das Bild schon im Sinn gehabt.
Die Entscheidung ob ein Bild gut ist, ich die Verantwortung für mein Werk übernehmen kann, geht über den technischen Anspruch hinaus und ist mit der Frage geknüpft ob ich meine emotionale Idee wieder finde.

Die Kreativität, den Impuls zum Ausdruck und der Wunsch zu teilen halte ich für eine ontologische Grundbedingung.
Sören Kierkegaard sagt hierzu: „Das Selbst ist ein Verhältnis, das sich zu sich selbst verhält,…“ Wir verhalten uns zu uns Selbst, sprich wir unterhalten eine Beziehung zu uns selbst.

Ich habe schon immer einen Hang zu guten Geschichten gehabt und mich hat immer wieder verwundert wie Menschen ihr Leben begreifen und welche Schlussfolgerungen sie daraus ziehen. Es ist so wie Goethe sagt, dass jeder das Geheimnis, mit ins Grab nimmt, wie es ihm möglich war zu überleben.
Dieses Geheimnis hat mich immer interessiert.
Das ich die Möglichkeit habe Fragen nach meiner Existenz zu stellen, nach dem Sinn zu suchen, ohne ihn gleich zu finden, habe ich auch tröstlich empfunden.

In den letzten Wochen habe ich mit einem Freund, der selbst studierter Philosoph ist, über die Philosophie, vor allem ihre Bedeutung für die Welt und die Menschen auseinandergesetzt.

Er hat mir gute Hinweise zur Philosophie gegeben und grund-legende Anregungen zum Werk Wittgensteins.
Vor allem hat er mir die Bedeutung der Fragen und Antworten in der Philosophie dargelegt.

Im Diskurs mit meinem Freund zitierte er einen schönen Text:

Martin Heidegger schreibt in seinem Buch „Sein und Zeit“:
„(…) Haben wir heute eine Antwort auf die Frage nach dem, was wir mit dem Wort „seiend“ eigentlich meinen? Keineswegs. Und so gilt es denn, die Frage nach dem Sinn von Sein erneut zu stellen. Sind wir denn heute auch nur in der Verlegenheit, den Ausdruck „Sein“ nicht (sic!) zu verstehen? Keineswegs. Und so gilt es denn vordem, allererst wieder ein Verständnis für den Sinn der Frage zu wecken. Die konkrete Ausarbeitung der Frage nach dem Sinn von „Sein“ ist die Absicht der folgenden Abhandlung.(…)“

Dies soll Grundlage alles weiteren sein.

Die Philosophie ist ein kritischer Kommentar zu Menschheitsgeschichte oder wie ich in einem Buch las, ein Gespräch über Zeiten und Generationen hinweg, zu den Fragen der Menschen.
Dieser epische Aspekt hat mir sehr gut gefallen.
Welche Fragen stelle ich mir? Welche Antworten habe ich?
Wie zeigt sich dies in meinen Fotografien?

Die Fragen Immanuel Kants haben mich sehr bewegt.

Was kann ich wissen?

Was soll ich tun?

Was darf ich hoffen?

Was ist der Mensch?

In diesem Fragen finde ich mich mit meinem Sein wieder, nochmal auf andere Art aufgefangen als ich dies aus meinen bisherigen Studien kenne.

Mit Irvin D. Yalom setzte ich mich in den letzten Jahren ebenfalls auseinander. Er hat die Psychotherapie durch sein epochales Werk „Existentielle Psychotherapie“ um die existentiellen Fragen bereichert.
Yalom stellt folgende Thesen zur Debatte.

Ich werde sterben.

Ich bin frei.

Ich bin isoliert.

Es gibt keinen Sinn.

Ich verstehe, dass der Mensch schon immer auf der Suche nach Antworten auf Fragen zu seiner Existenz war.
In der Kunst ging es immer um die Auseinandersetzung mit dem eigenen Sein, der Einbettung in eine geheimnisvolle, auch gefährliche Welt und um die Frage was die Welt mir sagt und welche Antwort ich auf diese Welt finde. Was kann ich über meine eigene Bedeutung wissen, was kann ich geben und welche Beziehung habe ich zu dieser Welt.

Ich denke hier sofort an die Venus von Willendorf, oder die Höhlenmaler der Steinzeit über die antike Kunst, die großen Meister wie Rembrandt, Picasso, bis hin zu Andy Warhol und Michael Kenna.

Was kann ich über mich an die Decke ein Höhle malen, meine Existenz bestätigend und als Spiegel des Nachdenkens über mich selbst.
Was kann ich sagen, über meine Beziehung zu anderen Menschen, zu meiner Mitwelt, zu Fragen der Spiritualität, deren Ausdruck in Architektur und der menschlichen Suche nach Halt und Verbundenheit, nach einem Gott einer Transzendenz. Was ist meine Antwort, was sind meine Fragen.

Was für Bilder macht Stefan Hahn?

Zurück zu Susan Sontag: Ich schreibe, um herauszufinden was ich denke.

Ich fotografiere, um herauszufinden wer ich bin.

Ich fotografiere, um Fragen zu stellen.

Ich fotografiere, um Antworten zu geben.

Ich fotografiere, um mich immer präziser auszudrücken.

Selfie, or not to be?

Ralph Gibsons Anregung hat mich gehörig aufgewühlt, auf eine Forschungsreise geschickt und energetisiert. In dieser Woche bin ich Lacan und Wittgenstein nachgegangen.

Beide haben sehr dichte Texte geschrieben. Mein Denkapparat hat ganz schön geraucht.
Es ging nur mit Begrenzung und so habe ich mich erst mit Lacan beschäftigt.

Wieder die alte Wahrheit:
Man sieht nur, was man kennt.
Ich fotografiere die Welt, wie ich sie sehe.
Ich fotografiere nur, was ich kenne.
Ralph sagte dazu: „Du wirst Deine Kamera da hin halten, wo Du sie noch nie hingehalten hast.“ Wie wahr!

Auf meiner Reise durch die Welt der Philosophie und Psychoanalyse bin ich auf verschiedene Dinge gestoßen, welche ich in Beziehung mit der Fotografie setzen konnte.

Deshalb möchte ich hier zuerst eine kleine Materialsammlung anlegen, um dann meine ersten Schlussfolgerungen und weitergehende Fragen zu formulieren.

1. Platons Höhlengleichnis
„Man denke sich Menschen, die angekettet in einer Höhle auf eine Wand schauen und nur Schatten von Dingen sehen, von denen sie jedoch glauben, sie seien die Wirklichkeit, weil sie nichts anderes kennen. Wird einer dieser Menschen von den Ketten befreit und wagt es, aus der Höhle heraus zutreten, so wird er die wahren Ursachen der Schatten erkennen. Kehrt er zurück und will den anderen von seiner Entdeckung erzählen, so wird er von diesem verlacht, da seine Erzählung nicht dem entspricht, was sie täglich wahrnehmen.“ (aus Jonas Pfister, Philosophie, Reclam 2011, S. 17-18)

2. Lacans „Im Banne des Spiegels – „Ich ist ein anderer“
Jeder Mensch wird sich unter tausend Bildern von Gesichtern selbst erkennen, er weiß um seine Gestalt.
Ich weiß nicht nur um meine Gestalt, ich weiß auch wie ich mich von anderen unterscheide, was ich denke und will, wie ich meine Beziehungen und Lebenswelten gestalte.
„Das sich seiner selbst bewußte „Ich bin, der ich bin“ wird erst dann zum Problem, wenn man fragt, auf welcher Wirklichkeit sich das, was das Subjekt über sich weiß, und das, worin es sich zu erkennen glaubt bezieht.
Mit anderen Worten: ob sich alles was es darüber weiß, auf diese – und auf keine andere – Wirklichkeit bezieht.
Dieser Art des Fragens bedient sich Lacan und geht damit den Weg, den Freud um die Jahrhundertwende mit seiner Traumdeutung erschloß.“
(Gerda Pagel, Jacques Lacan – zur Einführung, Junius 1989, S. 22)
Lacan erkennt „Das Ich ist nicht das Ich.“
Hierin liegt für ihn die grundlegende Erfahrung der Psychoanalyse.
Nämlich: Hinter dem für uns bekannten Ich mit all seinen Sehnsüchten, Träumen, Zielen, Problemen, Beziehungen, Verzweiflungen, gibt es noch etwas was für uns nicht fassbar ist.
Es kommt noch eine andere Person (in der Psychoanalyse Subjekt) zum Vorschein.
Dieses andere Subjekt, dass Unbewußte, welches sich in der Sprache bzw. der Rede des Menschen verbirgt, soll entschlüsselt werden.
Hier entwirft Lacan einen faszinierenden Gedanken:

Wenn das Kind sich zum ersten Mal im Spiegel erkennt, entwirft es ein Bild von sich selbst.
Die Projektion seiner eigenen Oberfläche.
Von diesem Zeitpunkt an, bildet sich der Selbstbezug heraus und der Mensch entwirft sich eine Welt, ausgehend von seinem (Spiegel-)Bild, gültig in seiner eigenen Wirklichkeit.
Die nicht akzeptablen, frustrierten Aspekte der Person verschwinden aus diesem Bild oder werden erst gar nicht eingebaut.
Vor allem, ist es das Begehren, was in das Unbewusste verschoben wird. Und dieses Verlangen wird nicht bewusst, sondern unbewusst in den Lebensvollzug eingewoben.

3. Phänomen des Selfies
Ich laß diese Woche in einer Zeitung, dass „Selfie-Sticks“ zukünftig in vielen Museen verboten sein werden.
So wurde mir noch einmal der Hype um sich selbst und seinem Vollzug im Selfie bewußt.

4. Andrew Agassi
In einer Canon Werbung sagte einmal Andrew Agassi: „The image is everything!“


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Meine Zäsur am 24.02.2015

Unumwunden: Ich verehre die Arbeit von Ralph Gibson. Ich bin ein Bewunderer seines Denkens, seiner Art die wesentlichen Aspekte des Lebens, seines Lebens, zu durchdringen und sie in seinen Fotografien auszudrücken. Die Bilder sind immer hintergründig, manchmal von einer intellektuellen Banalität (Common Place – Du musst lernen alles zu fotografieren, nach André Kertezs), welche mich aufrüttelt und erfüllt. Ich fühle mich danach immer wieder den Rätseln des Lebens ausgeliefert und gleichermaßen befreit.

Im Januar habe ich mich mit ihm zu einer persönlichen Konsultation getroffen und Audiomitschnitte angefertigt. Als ich diese heute nochmal, für diesen Beitrag durchhörte und mir Notizen machte, war ich verwundert. Den für mich persönlich wichtigsten Teil hatte ich übersehen, vergessen, verdrängt.


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