Tiefung und Vertiefung

Tiefung und Vertiefung - Foto: Stefan Hahn

Seit geraumer Zeit setze ich mit dem Fotografen Ralph Gibson auseinander. Seine Bilder haben in mir Räume geöffnet und ein Verständnis für Photographie vermittelt, das mir zunehmend Freude macht.

In den nächsten Wochen werde ich ihm einen eigenen Artikel widmen, denn ich hatte die Gelegenheit mich mit ihm über meine photographische Entwicklung zu unterhalten und bei Leica in Wetzlar einer Lesung beizuwohnen, die er dort anläßlich seiner Ausstellung „Mono“ hielt.

Während unseres Gespräches über meine Photographie, erzählte er mir eine Geschichte, welche in verschiedenen Interviews mit ihm und in seinen Büchern schon kolportiert ist: „Nachdem ich bereits 1 Jahr Assistent bei Dorothea Lange war, schaute Sie meine Arbeiten durch und sagte: „Ich sehe die Probleme hier. Du hast keinen Ausgangspunkt (point of departure). Nimm Deine Kamera überall mit hin, auch wenn Du in die Drogerie gehst, um Zahnpaste zu kaufen. Wenn Du Deine Kamera dabei hast, steigern sich die Chancen ein kraftvolles Bild zu machen. Wenn Du aber an der Straßenecke stehst und darauf wartest, dass etwas passiert, wirst Du niemals ein Bild bekommen.“
Ralph erläuterte: „Es geht darum eine Idee zu haben, einen emotionalen Verdacht. Interessiere Dich für etwas, für einen ungewöhnlichen Aspekt oder eine ungewöhnliche Perspektive, in einem gewöhnlichen Rahmen.“

Nun arbeite ich schon lange im Rahmen von Projekten, habe mich aber lange nicht mit den Projekten intensiv befasst sondern schnell nach Motiven gesucht. So ist z. B. meine Baumreihe entstanden. Ich war auf der Suche nach spannenden, abgestorbenen Bäumen, dachte aber nicht darüber nach, was dieses Thema für mich bedeuten würde oder was mich daran interessierte.

Nun arbeite ich schon ein Jahr, bei meinen freien Arbeiten, ausschließlich an meinem Kloster-Projekt. Was interessiert mich daran? Warum gelingen mir hier Bilder, die mich selbst und andere Betrachter mit einer existentiellen Wucht treffen und selbst Ralph Gibson sagen ließen: “This is quite a body of work”.

Der Ausgangspunkt ist sicherlich tief in meiner eigenen Sozialisation und Vergangenheit verborgen. Ich bin sehr katholisch aufgewachsen und war vor 30 Jahren selbst, als Novize, in einem Kloster. Ich verließ es, weil ich für mich feststellte, dass ich auf diesem Weg mich selbst verlor. Danach habe ich lange Zeit fern von Gott, Katholizismus und transzendenten Themen gelebt.

Im Januar 2014 dachte ich über mögliche Fotomotive nach. Ich hatte Landschaften, Bäume und Menschen fotografiert, mich mit Makrofotografie auseinandergesetzt und Bildbände gewälzt, immer mit einem Gefühl von Ruhelosigkeit und Neid, über die guten Photos dort.
Diese Erfahrung führte mich eher zu dem Punkt, meine Mitte zu verlieren und einer verzweifelten Suche nach Bedeutung und Gewicht in Szenen und Motiven.
Plötzlich dachte ich: Fotografiere Kreuzgänge.

Ich begann mir Bilder von Kreuzgängen und Klöstern anzuschauen und war von diesem Thema ergriffen. Schnell hatte ich Kontakt nach Maria Laach aufgenommen und angefragt, ob ich dort für einige Tage bleiben könne und in der Klausur fotografieren dürfe.
Ich durfte und so begann – bitte verzeiht mein Pathos – eine Reise in die Tiefe der menschlichen Natur begann.

Was ist meine Emotionalität, meine Perspektive auf dieses Thema – was interessiert mich?

Mich interessieren schon seit vielen Jahren die existentiellen Aspekte meines Lebens.
Vier Dinge bestimmen meine Existenz: Der Tod, die Suche nach Sinn (Sinnlosigkeit), die Freiheit und die existentielle Isolation. Diese unterschiedlichen, jedoch zusammenhängenden Facetten des Lebens beschäftigten mich insofern, als das ich nach Antworten suche, deren Existenz ich bisher nur erahne.

Sehr schnell komme ich zu der Frage nach der Existenz Gottes. Zeitweise löst dies in mir eine Wärme, ein vertrautes, altes Gefühl aus und ich bin zuversichtlich. Ein anderes Mal fühle ich mich allein und bedroht von einer Welt, der ich kaum noch Hoffnung und Kraft entgegen setzen kann.

Tatsächlich habe ich immer wieder Kraft bekommen, wenn ich mich zum Fotografieren in ein Kloster zurückgezogen habe. Ich war erfüllt von der Atmosphäre des Gebetes, der Stille und der Bereitschaft nicht wegzulaufen sondern immer tiefer zu gehen. Dies erlebe ich bei den Mönchsorden und bin angesichts meines Erlebens dieser Welt froh, dass es Menschen gibt die Abseits des Getriebes der Welt leben, möglichst frei von den verlockenden Abhängigkeiten und Verführungen.

In diesem Projekt suche ich in die Tiefe zu gehen und der Bedeutung dieser Orte nachzuspüren. Immer begleitet mich das Licht, das unterschiedliche Aspekte, welche in mir dieses intensive Gefühl von Integration oder auch den Wunsch nach Distanzierung hervorrufen, beleuchtet.

Was ist ein Mensch im Angesicht einer höheren Macht, welcher er sich ganz anvertraut? was kommt in den gregorianischen Chorälen zum Ausdruck und was spiegelt für mich dieser Gestus wieder? Was finde ich für mich und ist es möglich mein Leben selbst mit Bedeutung und einem Weg des Mönchseins in der Welt zu erfüllen? Was ist mein Zweifel?

Andererseits setze ich mich mit der Geschichte dieser Orte auseinander, der Baukunst, der mittelalterlichen Kunst und den vielen Seelen, welche ihr Menschsein hier vor ihren Gott getragen haben.

Somit hat dieses Projekt ganz viel mit mir zu tun und meine Bilder spiegeln dies wieder.

Ich finde, dass Ralph Gibson einen guten Hinweis gegeben hat, um den Point of departure mit Leben zu erfüllen und einen Weg zu gehen.

Es geht mehr um das Suchen, als um das Finden. Es ist eine immer währende Auseinandersetzung und die Bilder die vor mir liegen, sind wichtiger als jene, die hinter mir sind.

Ralph empfiehlt eine kleine Übung bzw. Methode um der eigenen Fotografie einen Sinn zu geben:
Mache eine Liste von Dingen die dich interessieren, die Dir wichtig sind und fotografiere das was Dich interessiert.Mache Dich auf die Suche nach immer neuen Perspektiven. Überlege Dir, was in diesem Zusammenhang zu fotografieren ist und wo Du dafür die Kamera platzieren musst. Folge Deinem emotionalen Verdacht, Deiner Idee. Führe Deine Liste immer weiter fort und überlasse Dich Deinen Einfällen. Erforsche Dich selbst in Deinem Tun.

Dies ist auch mein Weg, der zur Zufriedenheit führt und meinen Geist klärt.